Pressestimmen "Münchhausen"

Fränkische Nachrichten vom 15.7.02

 Theaterstück zu Unrecht vergessen -  Elert Bode inszeniert und spielt Hasenclevers "Münchhausen"

 Sein 1914 vollendetes, zwei Jahre später in den Kammerspielen des Deutschen Landestheaters in Prag uraufgeführtes Schauspiel "Der Sohn" war das erste expressionistische Drama auf einer Bühne. Und nicht nur deshalb ist der Name des 1890 in Aachen geborenen Arztsohns Walter Hasenclever heute noch mit dem Expressionismus verbunden, als einer dessen profiliertesten Lyriker und Dramatiker er in die Literaturgeschichte eingegangen ist. So nimmt es denn vielleicht weniger wunder, dass ein nicht dieser Stilrichtung zuzurechnendes Theaterstück aus seiner Feder heute - und das zu Unrecht! - weitgehend vergessen ist: "Münchhausen".

Sechs Jahre bevor der aus Deutschland emigrierte Walter Hasenclever im Lager Les Milles, in dem er inhaftiert war, freiwillig aus dem Leben geschieden ist, also 1934, schrieb er, schon im französischen Exil, sein Schauspiel "Münchhausen". Die Uraufführung fand allerdings erst 1948 in Leipzig statt, wo der später in Stuttgart zu hohem Ansehen gekommene Ludwig Anschütz die Titelrolle spielte. Nach knapp 18 Jahren Intendantentätigkeit am Alten Schauspielhaus Stuttgart inszenierte Elert Rode das Stück, das gute Rollen enthält und dessen Titelheld, den der in den Ruhestand gehende Theaterleiter selbst verkörperte, eine bekannte historische Persönlichkeit ist.

Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen wurde 1720 auf dem Gut Bodenwerder an der Weser geboren, wo er 1797 gestorben ist. Dazwischen führte er ein abenteuerliches Leben und trug mit den unglaublichsten Kriegs-, Jagd- und Reisegeschichten zur Unterhaltung im Freundeskreis bei, so dass schließlich entsprechende Schwankerzählungen einfach als Münchhausiaden apostrophiert wurden. Diese Münchhausiaden sind nun auch die eine Seite des Schauspiels von Walter Hasenclever. Die andere - und sie ist durchaus historisch überliefert - ist die Geschichte der Ehe des 70-jährigen Barons mit der um rund 50 Jahre jüngeren Tochter des Majors von Brünn, die dem alten Freiherrn auf Freiersfüßen einen großen Teil seines Vermögens kostete.

Walter Hasenclever zeichnet in seinem Schauspiel ein Bild von Münchhausens Tafelrunde, zu der bei ihm der Drost von Alten, der Burggraf von Rinteln und der Baron Grothaus gehören. Das ist die Runde, in der der Baron Münchhausen seine "Lügengeschichten" zum Besten gibt, in die aber auch Bernhardine von Brünn einbricht und ihm den Kopf verdreht. Daneben skizziert der Autor in seinem gescheiten Stück, in dem auch die literarischen Zeitgenossen, ihre Werke und ihre Wirkung erwähnt werden, die Ehe des Majors und der Majorin von Brünn, das Werben des jungen Hauptmanns Wilhelm von Münchhausen um die junge Frau seines alten Onkels, deren heftigen Flirt mit Prinz Ernst August von England, und er beschreibt den Niedergang des "Lügenbarons" bis zu dessen Tod, nicht zu vergessen, eine gekonnte Charakterisierung der Bediensteten in der damaligen Zeit, samt dem Abstand der Klassen in den von den Ideen der Französischen Revolution noch wenig beeindruckten deutschen Provinz.

Für die häufigen Szenenwechsel des Stücks hatte die Ausstatterin Barbara Krott eine praktikable Lösung gefunden, die dazu noch für die jeweils passende Atmosphäre sorgte. In diesem Rahmen führte Elert Bode sozusagen unmerklich, mit lockerer Hand Regie, ließ seine Mitspieler sich entfalten und zeichnete so ein realistisches Bild vom Leben und Treiben einer untergegangenen Epoche.

Er selbst war der "Lügenbaron", dem man seine Geschichten ebenso abnahm wie seine aufrichtige, aber zu späte Liebe zu Bernhardine von Brünn glaubte. Dieses junge, einerseits naive, andererseits aber auch lebenslustige Mädchen, das sich, nach erstem Zögern, fast zu gut in die Rolle der vermeintlich reichen Baronin hineinfindet, war mit der schlank-attraktiven Stefanie Frischeis geradezu ideal besetzt. Kein Wunder, das sich Jan-Sandro Berner als fescher Hauptmann Wilhelm von Münchhausen auch um ihre Zuneigung bemühte. Die Tafelrunde bildeten Jörg von Liebenfelß als aufrechter Drost von Alten, Karl-Heinz Butzen als eher biederer Burggraf von Rinteln und Joerg Adae als gebildeter Baron Grothaus. Ein "alter Soldat" aus dem Bilderbuch war Dieter Schaad als Major von Brünn, der unter dem Kommando von Kristin Zein als seiner resoluten Frau stand. Als adeliges Jüngelchen skizzierte Nils Weyland den englischen Prinzen. Die Bedienten verkörperten standesgemäß und differenziert Werner Ziebig, Iris-Andrea Zippel und Heidemarie Brüny. Ein etwas kauziger Verleger Göschen war Peter Rißmann. 

Dieter Schnabel

 pf-l